SHALOM-MUSIK.KOELN 2022

„Vielfalt jüdischer Musik“, „unterhaltsam und auch ein bisschen kölsch“

Begeisterte Kommentare wie diese waren in der letzten Ferienwoche in der ganzen Stadt zu hören – vielfach verbunden mit der Frage: „Wann gibt es ein solches Angebot noch einmal?“ Lange Schlangen vor den Veranstaltungsorten, bis auf den letzten Platz gefüllte Konzerte sowie glückliche Künstler*innen und Zuschauer*innen zeigen: Der Auftakt des neuen Musikfestivals SHALOM-MUSIK.KOELN des Kölner Forum für Kultur im Dialog e.V. unter der Schirmherrschaft von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst war ein voller Erfolg. Zwischen dem 4. und 11. August hatten Besucher*innen die Möglichkeit, an ausgewählten Orten in der ganzen Stadt jüdischen und nichtjüdischen Musiker*innen zu begegnen und sich auf eine außergewöhnliche Entdeckungsreise zu begeben. Das musikalische Angebot zeigte die Vielfalt jüdischer Musik von mittelalterlicher Synagogalmusik über Klassik und Klezmer bis hin zu drei Uraufführungen von kompositorischer Avantgarde.

DER ERÖFFNUNGSABEND:  ZWISCHEN ZUVERSICHT UND ELEKTROPOP

Die Kölner Flora bot mit ihrem Botanischen Garten, den Wasserspielen und der historistischen Terrassenarchitektur die ideale Kulisse für das Eröffnungskonzert des neuen Jüdische Musik-Festivals SHALOM-MUSIK. KOELN. Über 500 Gäste und Konzert-besucher*innen waren am Donnerstag, dem 4. August 2022 gekommen, um gemeinsam mit dem Kölner Forum für Kultur im Dialog und der Kölner Synagogen-Gemeinde die Eröffnung zu begehen. Zahlreiche Personen aus Politik und Gesellschaft u.a.  mit dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, Nathanael Liminski, der 1. FC Köln Präsident Werner Wolf gaben sich die Ehre und zeigten damit, welche Relevanz dem neugegründeten Festival, das Claudia Hessel, Ulrike Neukamm und Thomas Höft künstlerisch und planerisch verantworten, zugeschrieben wird.

 So heiter die äußeren Umstände waren, so ernst war an sich das Thema. „ZUVERSICHT“ war das Festival überschrieben, womit die Kraft gemeint ist, die der Musik im Judentum immer wieder zugeschrieben wurde, auch in den ernstesten Umständen die Hoffnung nicht zu verlieren. Vor dem Hintergrund eines neu erstarkenden Antisemitismus, den Schrecken des Krieges in der Ukraine und der traditionellen Trauerzeit im jüdischen Kalender zur Erinnerung an die Zerstörung der Tempel in Jerusalem war klar, dass gerade das Eröffnungsprogramm schwierigen Fragen nicht ausweichen sollte. Diese anspruchsvolle Aufgabe übernahmen ein Streichtrio mit Marc Bouchkov, Adrien La Marca und Ivan Karizna - ihre Interpretationen von Werken im nationalsozialistischen Deutschland verfolgter jüdischer Komponisten wie Erwin Schulhoff und Gideon Klein hatten höchste Qualität. Bariton Dietrich Henschel und der ganz kurzfristig für die leider erkrankte Pianistin Elena Bashkirova eingesprungene Arno Waschk brachten mit Gustav Mahlers „Liedern aus des Knaben Wunderhorn“ - unter anderem das titelgebende, berührende „Urlicht“ - und dem erschütternden „Cornet“ von Viktor Ullmann überaus eindringliche Kriegsklagen ins Programm, das in Zusammenarbeit mit dem Jerusalem Chamber Music Festival 2022 entwickelt wurde, wo es im September 2022 zu hören sein wird.

 Im Anschluss lud der Ehrenfelder Club Bumann & Sohn zu einem kostenlosen Konzert ein. In Zusammenarbeit mit c/o pop und Popanz productions hatte SHALOM-MUSIK. KOELN die beiden Gruppen THE WHITE SCREEN und RYSKINDER engagiert. RYSKINDER ist ein aus Tel Aviv stammendes Projekt von Asaf Eden, gesungen wird auf Hebräisch. Gemeinsam mit der Perkussionistin Miho Shimomura springt Asaf zwischen den Genres Psych Rock, Hip-Hop und Elektronik. Und das genderfluide Kollektiv THE WHITE SCREEN aus Tel Aviv ist weit über die israelische Underground-Szene bekannt mit sehr experimentellen Klängen und Texten. Beide heizten im vollbesetzten Bumann & SOHN bis weit nach Mitternacht dem jungen Publikum gehörig ein.

EINE STADT VOLLER JÜDISCHER KLÄNGE

Die folgenden Tage im Festival waren spontanen Aktionen im Stadtraum gewidmet. Am Freitag, dem 5. August 2022, waren Moritz Weiss und sein Styrian Klezmore Orchestra zwischen Neumarkt und Domplatte unterwegs, um ebenso beschwingt wie stimmungsvoll Lust auf die kommenden Veranstaltungen zu machen. Hunderte Besucher*innen ließen sich von den leidenschaftlichen Melodien anrühren und begeistern.

Am Samstag, dem 6. August 2022, gab es eine ganz besondere Musiktheater-Aktion in der KVB-Straßenbahn der Linie 7 zu erleben. Zwischen den Stationen Baumschulenweg und Aachener Straße/Gürtel sowie Aachener Straße/Gürtel und Frechen Rathaus spielten der Straßentheatermagier Adrian Schvarzstein und die „Camerata dei Folli“ aus Vilnius das Stück GEKUMEN. In Kleidung der Dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts überraschten sie die Fahrgäste in der „Schalömchen-Bahn“ mit einer anrührenden kleinen Liebesgeschichte unter Jüdischen Emigrant*innen. Mit viel Musik, Tanz und Gesang verwickelten sie die Fahrgäste in die Geschichte und sorgten für eine geradezu ausgelassene Stimmung in der Bahn. Am Ende des Abends lockten sie sogar die Besucher*innen aus der Bahn, um ihnen in Frechen in die VHS am Rathaus folgten. Dort spielten sie im Foyer vor der alten, vor der Zerstörung durch die Nazis geretteten Synagogentür ein Konzertprogramm mit jüdischen Liedern. Nicht nur Frechens Bürgermeisterin Susanne Stupp war tief bewegt.

JAZZ IKONE ZU GAST IN DER FLORA

Er gehört zu den ganz großen Trompetern der Jazzwelt: Avishai Cohen aus Tel Aviv In der Kölner Flora sorgte er mit 650 Zuschauer*innen für ein ausverkauftes Haus. Gemeinsam mit Yonathan Avishai - Piano, Yonathan Zelnik - Bass und Ziv Ravitz - Schlagzeug spielte er sein jüngstes Programm „Naked Truth“ - nachdenklich, psychedelisch und künstlerisch auf höchstem Niveau. Das Publikum danke mit frenetischen Standing Ovations.

 VOLLE SÄLE BEIM „LANGER TAG MIT JÜDISCHER MUSIK“

Bei strahlendem Sonnenschein wurde der „Lange Tag mit Jüdischer Musik“ am Sonntag, dem 7. August 2022, wortwörtlich eingeläutet. Katarzyna Takao-Piastowska und Toru Takao spielten live am Carillon des Kölner Rathauses jüdische Melodien, von bekannten Volksliedern bis hin zu Stücken aus der Liedsammlung von Karol Szymanowsky. Hunderte von Zuhörer*innen hatten sich auf dem Alter Markt versammelt. Dort konnten sie auch PURIM BRASS vom Rathausbalkon Musicalmelodien von Gershwin und Bernstein spielen hören sowie die Uraufführung einer zu diesem besonderen Anlass vom jungen Kölner Komponisten Tom Belkind komponierten Fanfare. Anschließend begeisterten Adrian Schvarzstein und Jurate Sirvyte die Menschen auf dem Alter Markt mit ihrer Straßentheater-Improvisationsshow ARRIVED, indem sie fremde Menschen zu neuen Familien zusammenstellten oder Erinnerungen mit uralten Photos aus dem jüdischen Shtetl teilten.

Wie alle Programme an diesem Tag wurden auch diese drei Mal gespielt, um möglichst vielen Besucher*innen die Möglichkeit zu geben, einen sehr abwechslungsreichen Eindruck von jüdischer Musik zu erleben. Über 5.000 Menschen nutzten das kostenlose Angebot, insgesamt 70 jüdische und nichtjüdische Künstler*innen waren beteiligt und boten an 16 Veranstaltungsorten 50 Kurzkonzerte. Die Bandbreite dabei war immens: Im Museum Kolumba spielten der Blockflötist Michael Hell, der Gambist Georg Kroneis und das Ensemble Ārt House 17 mitten in der aktuellen Ausstellung zeitgenössischer Kunst gleich 2 Uraufführungen von Gilad Hochmann und Klaus Lang sowie eine europäische Erstaufführung von Avishai Ya’ar. Die israelischen Komponisten waren persönlich anwesend und wurden umjubelt. Und auch Tal Botvinik hatte Neue Musik auf dem Programm: Der in Köln lebende Gitarrist spielte Steve Reichs minimalistisch-psychedelisches „Electric Counterpoint“ in der Trinitatiskirche. Neben Avantgarde gab es natürlich auch Klezmermusik: mit dem „Teufelsgeiger“ Igor Epstein und seinen jiddisch-kölschen Geschichten, mit der Styrian Klezmore Band und Moritz Weiss und dem Trio Picon, das als Überraschungsgast den bekanntesten deutschen Klezmerklarinettisten Helmut Eisel mitgebracht hatte. Dem jüdischen Broadway widmeten sich nicht nur Keyboarder Johannes Quack und Trompeter Christoph Fischer in der Antoniterkirche, sondern in ganz berufener Weise auch Michael Willens und sein Big Band Orchester Kölner Akademie im Stiftersaal des Wallraf-Richartz Museum. Willens hatte die Musik seiner jüdischen Großväter mitgebracht, die auf dem Broadway mit jiddischen Musicals umjubelte Erfolge feierten. Kantor Roman Grinberg und Shura Lipovsky verliehen den Songs beseelt-authentischen Ausdruck.

Klassiker der Moderne präsentierte das Asasello Quartett im Literaturhaus mit Musik von Schönberg und Bloch, vor allem aber von der lange vergessenen Kölner jüdischen Komponistin Maria Herz. Sie war die Tochter eines jüdischen Kölner Textilhändlers. Von den Nazis verfolgt und als Komponistin missachtet, finden ihre Werke erst seit kurzer Zeit ein verdientes Interesse. Orgelmusik für die Synagoge war im 19. Jahrhundert in Deutschland ein sehr umstrittenes Thema. Matthias Bartsch interpretierte in St. Kunibert Meisterwerke synagogaler Orgelmusik.

Noch weiter zurück in die Geschichte tauchte die Cembalistin Tatjana Vorobjova, die im Sancta-Clara-Keller Werke von Domenico Scarlatti interpretierte, um damit an den großen ukrainisch-jüdischen Pianisten Vladimir Horowitz zu erinnern, der Scarlattis Sonaten besonders schätze. Chasan Jalda Rebling und Maria Jonas lieferten mit Ars Choralis Coeln in ihrem jüdisch-christlichen Projekt TODA sogar eine Annäherung an mittelalterliche Musik mit jüdischen Piyyutim und katholischen Lauden.

Das Thema „Jüdisches Lied“ hatte einen eigenen Schwerpunkt im Festival: Kölns Opernstar Dalia Schaechter und Christian von Goetz erinnerten im EL-DE-Haus eindringlich an den jiddischen Liedermacher Mordechai Gebirtig, der im Krakauer Ghetto von einem deutschen Soldaten ermordet wurde. Sharon Brauner and the Goy Boys spielten im Kleinen Sendesaal des WDR lebenslustige, verschmitzte und grandiose jüdische Chansons. Und die ukrainische Sandkünstlerin Natalia Moro sorgte schließlich im Filmforum NRW mit Igor Mazritsky, Verena Guido, Julia Vaisberg und Gunther Tiedemann  für einen unvergesslichen, ebenso tieftraurigen wie ermutigenden Blick auf das, was ihrem Land gerade widerfährt. Ein weiterer Höhepunkt des Tages, der die Zuschauer*innen in ihren Bann zog.

Den Abschuss bildete eine Jamsession im Consilium, bei dem selbst das Publikum noch zum Tanzen gebracht wurde.

WÜRDIGER ABSCHLUSS IN DER KÖLNER SYNAGOGE

Jüdische Kultur gehört zu Köln und verdient einen festen Platz im Kölner Kulturkalender, versprach Köln Oberbürgermeisterin und Schirmherrin des Abends Henriette Reker beim Abschluss-Konzert in der vollbesetzten Synagoge. Bereits seit mehr als 1700 Jahren existiert jüdisches Leben in Europa. „Al Admat Nechar“ - in einem fremden Land ließ Musik des 15. und 16. Jahrhundert aus ganz Europa erklingen. Es war ein außergewöhnliches Programm, konzipiert von der Cembalistin und Flötisten Corinna Marti, die als Mittelalter-Expertin an der Schola Cantorum in Basel lehrt. Von dort brachte sie auch ihr Ensemble La Morra mit, in dem der israelische Countertenor Doron Schleifer sang. Seine einzigartige hohe Stimme entfaltete sich besonders gut in der Synagoge. Zu den geladenen Gästen zählten auch der Präsident des Landtags NRW André Kuper und Anne Henk-Holstein, die Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland. Außerdem wurde das Publikum von den Gastgebern begrüßt:  Rabbiner Yechiel Bruckner und Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen Gemeinde Köln. Die Vorstandsvorsitzende des Kölner Forum für Kultur Im Dialog zierte aus einem der vielen positiven Rückmeldungen: In einer sehr emotionalen E-Mail dankte eine gebürtige Amerikanerin, die seit mehr als 30 Jahren in Köln lebt, den Festival-Macher*innen von Herzen für diesen „heilenden Moment“ in ihrem Leben: „Ich habe all die Jahre mit gemischten Gefühlen hier gelebt. Aber als ich am Sonntag überall in den Straßen und Konzertsälen Kölns jüdische Musik hörte, die die Luft in der ganzen Stadt erfüllte, gespielt und gesungen von jüdischen Menschen, fühlte es sich an, als würden Juden ihren Platz in dieser Stadt zurückerobern. Und Köln hieß sie willkommen! Das hat etwas in meinem Herzen geöffnet.“

INFOVERANSTALTUNG UND WISSENSCHAFTLICHE AUSEINANDERSETZUNG

Musik spielt im jüdischen Leben zu Festen und zu Feiertagen eine wichtige Rolle. Jüdische Musik hat ihre Wurzeln in der Tradition und findet sich auch in der Moderne wieder. Aber was macht jüdische Musik aus? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer vom Kölner Forum für Kultur im Dialog organisierten Veranstaltung, die im Gemeindesaal der Kölner Synagogen-Gemeinde stattfand. Unter dem Titel  „Jüdische Musik – mehr als nur Klezmer“ diskutierten der renommierte Musikwissenschaftler und Pianisten Prof. Jascha Nemtsov, Dr.Inna Goudz, Geschäftsführerin des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Nordrhein, der Autor und Mitglied der künstlerischen Leitung von Shalom-Musik.Koeln, Thomas Höft und Prof. Dr . Jürgen Wilhelm, Vorstandsvorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Die Sendung wurde bei WDR 3 im Hörfunk ausgestrahlt und erreichte viele Zuhörer in ganz NRW. Nachzulesen und nachzuhören auf www.shalom-Musik.koeln

In Planung ist weiterhin eine wissenschaftliche Tagung im Herbst, die die Themen „Jüdische Musik und Jüdische Komponisten“ aufgreift. 

Wir danken allen, die zum Gelingen der Festival-Premiere von Shalom-Musik.Koeln beigetragen haben und freuen uns auf eine Fortsetzung in 2024

Ihr Kölner Forum für Kultur im Dialog e.V.

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WIR SAGEN DANKE FÜR EINEN ERLEBNISREICHEN TAG MIT VIELEN ENTDECKUNGEN BEI SHALOM-MUSIK.KOELN